Mondkusinen und Doppelgänger:

Es wird Sie nicht wundern, daß es den Namen Johann Maier (Meier, Mayer, Mair, Meir, Mayr, Meyr) ziemlich oft gibt. Es wird Sie vielleicht wundern, daß es mindestens zwei Personen gibt, die Dietmar Polaczek heißen.

Der Name Polaczek ist im deutschen Sprachraum nicht so selten, wie man glauben möchte. Es ist ein tschechischer (böhmischer) Name in der heutigen polnischen und der historischen tschechischen Orthographie (die für den Laut "tsch" nicht das č, sondern cz benutzte). In Polen, Tschechien und der Slowakei gibt es den Namen wie Sand am Meer. Der Diminutiv auf -ek kommt von Polak (bisweilen Pollak) und bedeutet kleiner Pole. Als Herkunftsname kann er wohl nur außerhalb Polens, also in Böhmen entstanden sein, weil er - wie alle Herkunftsnamen - eine auffallende Eigenschaft benennt, die die andern in der jeweiligen Gegend nicht haben. Erstaunlicherweise kommt der Name Polaczek schon im Mittelalter als einer der Namen der Šlachta, des Adels in Polen selbst vor. Nicht selten sind die Herkunftsnamen Pollak und Polaczek unter den osteuropäischen Juden. Die Geschichte der Monarchie Österreich-Ungarn und die europäischen Migrationen spiegeln sich auch in der Schreibung des Namens Polaczek und seiner Varianten: Die Originalform ist in Österreich am häufigsten, die moderne tschechische Form, die aber fast immer den Akzent (Haček) verloren hat, ebenfalls, von den eingedeutschten Formen kommen manche in Deutschland deutlich häufiger vor als in Österreich. In den deutschen, österreichischen und Schweizer Telefonbüchern findet sich (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Polaczek: Österreich 29mal, Deutschland 9, Schweiz 0, Vereinigte Staaten [ein Einwanderungsland] 12, 

Polacek: Österreich 90, Deutschland 6, Schweiz 10,

Polaschek: Österreich 49, Deutschland 11, Schweiz 0,

Polatschek: Österreich 43, Deutschland 6, Schweiz 0,

Pollatschek: Österreich 11, Deutschland 7, Schweiz 2, 

Pollaschek: Österreich 6, Deutschland 47, Schweiz 1, 

Pollaczek: Österreich 1, Deutschland 5, Schweiz 0,

Polascheck: Österreich 0, Deutschland 18, Schweiz 0,

Pollacek: Österreich 0, Deutschland 2, Schweiz 0,

Pollatscheck: Österreich 0, Deutschland 2, Schweiz 0,

Pollascheck: Österreich 0, Deutschland 2, Schweiz 0.

Mischformen wie Polaczeck, Polatscheck, Pollaczeck, Pollaceck, Polaceck, in denen verschiedene, einander widersprechende orthographische Konventionen und Sprachgewohnheiten zusammenkämen, scheint es nicht zu geben.

 

Die Kombination dieses Namens mit einem germanischen Vornamen ist so ungewöhnlich, daß zu vermuten wäre, im ganzen deutschen Sprachraum gäbe es Dietmar Polaczek nur einmal. Denn unter der Voraussetzung, daß Dietmar als Vorname im deutschen Sprachraum (und nur hier) mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa einem Hundertstel vorkommt, liegt die Wahrscheinlichkeit der Kombination dieses Vor- und Zunamens in der deutschsprachigen Bevölkerung (weniger als hundert Millionen) in der Größenordnung von etwa zehn Milliardstel, also einmal auf hundert Millionen. Noch unwahrscheinlicher (in der Größenordnung von Billionstel) ist, daß ein Namensdoppelgänger in derselben Stadt auftritt. Aber der Zufall will, daß ausgerechnet in Graz, wo Dietmar Polaczek studierte, ein anderer, mit ihm nicht verwandter Dietmar Polaczek lebt, der – und hier geht die Unwahrscheinlichkeit schon in astronomische Größenordnungen – nicht nur Jurisprudenz, sondern ebenfalls Musik studiert hatte. Als sich die beiden Dietmar Polaczeks, die so wenig voneinander wußten wie Kästners Doppeltes Lottchen, durch einen so unwahrscheinlichen Zufall, daß ihn ein Katholik als Wunder bezeichnen würde, auch noch kennenlernten, war es, als hätte das Schicksal Blut geleckt: Von da an verwechselten der Rundfunk, die Urheberrechtsgesellschaft AKM und, was für den Studenten das Schlimmste war, das Finanzamt die beiden Polaczeks. Der Nestroy muß noch geboren werden, der daraus eine Komödie macht, die ohnehin niemand für glaubwürdig hielte.

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